Wann hilft eine Zweitmeinung

oder: Wie mit absurden Gerichtsentscheidungen umgehen und warum man nicht selten eine 2. Instanz braucht

Es ist wie bei der Zweitmeinung eines Arztes, die vor jedem größeren oder riskanten sicher zu empfehlen ist. Wer eine fundierte zweite Meinung wünscht, muss auch den Aufwand in Kauf nehmen, dass alle relevanten Daten neu geprüft werden.

Zweitmeinung ist sinnvoll, aber aufwendig, weil alles nochmals aufgerollt werden muss.

Denn wie bei der ersten Beratung kann die weitere Beratung nur zu richtigen Ergebnissen führen, wenn eine andere rechtskundige Person alle notwendigen Fakten kennt und in ihren Rat einbeziehen kann. Eine auf eine Schlüssigkeitsprüfung, also auf die reine, sekundäre Analyse des Erstgutachtens beschränkte Zweitmeinung hilft in aller Regel nicht weiter.

Als Negativbeispiel ist der konkrete Fall einer Zweitmeinung zu den Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens anzuführen, der sich tatsächlich so ereignet hatte. Hier sah der weitere Rechtsanwalt offenbar nur grob das erstinstanzliche Urteil und die Schriftwechsel durch. Das Vernehmungsprotokoll für Zeugen prüfte er nicht gesondert nach den Inhalten.

Fehler passieren ständig – auch bei den Gerichten

Das erstinstanzliche Gericht hatte Widersprüche zu der Behauptung eines Schulderlasses in der Aussage eines wesentlichen Zeugen übersehen. Er behauptete tatsächlich, der Lieferant seines Unternehmens habe ihm gegenüber auf 40% seiner Forderung am Telefon verzichtet, obwohl es keinerlei Mängelrügen zu der Lieferung gab. Der einzige nachträgliche Einwand nach Lieferung war: „zu teuer“.

Obwohl die Behauptungen des Buchhalters schon grundlegend absurd waren, kommt hinzu, dass Auftraggeberin eine zwielichtige Glücksspiel- und Wettenveranstalter mit Sitz in Malta war und sich ihr Buchhalter auch noch bei den genannten Beträgen mehrfach widersprach.

Dies hinderte das Landgericht aber nicht, dem einzigen Zeugen dafür zu glauben und die Klage deswegen zu 40% abzuweisen!

Auch aus dem Gutachten des anwaltlichen Prozessvertreters in erster Instanz zu Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels empfahl daher eine Berufung dringendst. Denn schon Betragsangaben des Zeugen ließen sich nicht mit  der tatsächlichen Rechnungshöhe in Einklang bringen. Außerdem widersprach er bezüglich des logischen Ablaufs sogar der Behauptung der Beklagten, sie habe über ihn gezielt auf den Erlass von 40% der geforderten Summe gedrängt, weil sie die bindend getroffenen Vereinbarungen zum Preis als überhöht empfand.

Der bei ihr beschäftigte Zeuge behauptete statt dessen auch noch sehr schwammig, er habe sich zunächst mit dem Kläger auf den Erlass nur unverbindlich und rein mündlich geeinigt und dann bei dem Geschäftsführer um eine Genehmigung nachgesucht, die ihm erst sechs Wochen später – wiederum mündlich – erteilt worden wäre. RA Stefan Musiol

Der Kläger habe damit auf 40% seiner Forderung, nicht weniger als 25.000,- Euro, ohne rechtlichen Anlass, nur wegen der Zahlungsverweigerung seiner beklagten Auftraggeberin, verzichtet.

Dem widersprach im Übrigen auch das Vorgehen des klagenden Handwerkers, der sowohl vor dem Telefonat wie danach den vollen, ihm zweifelsfrei zustehenden Betrag angemahnt hatte.

Die Beklagte bot im Prozess dann die sofortige vollständige Zahlung an, wenn die Verfahrenskosten geteilt würden. Auch dies zeigt ihre Einschätzung der Erfolgsaussichten und Glaubhaftigkeit ihrer eigenen „Story“.

Den Vergleich lehnte der Kläger, der schon knapp kalkuliert hatte, aber wegen der klaren Erfolgsaussichten seiner Klage zurück.

Landgericht auf offensichtlicher Geisterfahrt bei der Beweiswürdigung 

Nach einem Richterwechsel und erkennbare fehlender Einarbeitung der nachfolgenden Richterin versuchte es das beklagte Wettunternehmen mit einem noch schlechteren Angebot. Die Richterin hatte 50% der Forderung als Vergleich vorgeschlagen, weil sie, offensichtlich ohne jede Kenntnis des bisherigen Verfahrens, von Mängelrügen ausging, die es nicht gab. Solche waren aber nicht einmal angesprochen worden.

Umso überraschter war sie, als die Beklagte Wettgesellschaft sogar deutlich mehr anbot. Der zunächst bearbeitende Richter hatte der Beklagten im ersten Termin noch nach der Rechtslage erfolglos ein Anerkenntnis gegen Zinserlass nahegelegt. Aber auch das hinderte sie offenbar nicht daran, dem Vortag der maltesischen Wettgesellschaft weiter volles Vertrauen zu schenken.

Die erhebliche logische und zeitliche Abweichung in der Aussage des Zeugen überging das Gericht erster Instanz unter ihrem Vorsitz daher, obwohl sich schon die Behauptung eines Forderungsverzichts um 40% ohne Rechtsgrund mehr nach Science-Fiction als nach zurechnungsfähigen Kaufleuten anhört. Es wies die Klage wegen eines angeblich nachgewiesenen Erlassvertrags ab.

Zweiter Rechtsanwalt meint, es wäre ein Fehler, den Vergleich nicht zu akzeptieren

Der mit dem Zweitgutachten beauftragte Rechtsanwalt sah dennoch erhebliche Risiken für die Berufung, weil der Kläger den gut gemeinten Vergleichsvorschlag des Gerichts (50%) abgelehnt hatte. Das Gericht wäre darüber erkennbar so erbost gewesen, dass es die Klage abgewiesen hatte. Zudem wäre das erstinstanzliche Gericht in der Bewertung der Aussage des genannten Zeugen frei und könne ihm Glauben. Dies könne das Berufungsgericht nicht mehr revidieren.

Diese Darlegungen sind ohne Ausfälligkeiten zu ihrer Qualität kaum zu kommentieren, aber tatsächlich echt. Der Mandant war sichtlich verwirrt und fand in der Stellungnahme keinerlei Aufklärung. Sie stammte allerdings auch von einem Rechtsanwalt, der keine heutzutage vorauszusetzende Ausbildung für eine Rechtsanwaltszulassung absolviert hat, sondern ein Studium an einer nach Karl-Marx benannten Hochschule früherer Zeit. Auch so etwas gibt es.

Hier war der Handwerker allerdings bei der Auswahl der Zweitmeinung durchaus nicht hilflos. Ein Blick in den veröffentlichten Lebenslauf hätte über die Qualifikation Klarheit verschafft. Auch Lehrgänge im allgemeinen Zivil-  und Zivilprozessrecht, die Kenntnislücken ergänzen könnten, waren nicht ausgewiesen.

Es ist eben doch wie bei allen Dienstleistern: Neutrale Bewertungen mit geprüfter Authentizität sind immer noch der aussagekräftigste Maßstab für Beratungsqualität. 

Schock beim Oberlandesgericht und sofortiger Termin:
„Dieses Urteil kann keinen Bestand haben“

Die vorausgesagten Probleme bei der Berufung gab es natürlich nicht.

Wohl mit nachvollziehbarem Erschrecken, den der Senat im Termin auch deutlich und mit wenigern Worten zum Ausdruck brachte, hat das Oberlandesgericht in kürzester Zeit terminiert und die in erster Instanz daneben gegangene Beweisaufnahme sofort selbst wiederholt.

Der Senat wartete nicht einmal auf eine Stellungnahme des weiter beklagten Wettunternehmens.

Nachdem sich ihr Zeuge zum Termin krank gemeldet hatte, gab das Wettunternehmen über seinen im Termin sichtlich nervösen Rechtsvertreter (dessen Kanzlei sich in ihrem Münchner Gebäude befindet) auf und bezahlte alles.

Es hilft also auch in Rechtsfragen: Nicht verwirren lassen und Logik mit gesundem Menschenverstand nicht verlernen

Bildquelle: Christina Maechler, Deutscher Anwaltverein